Dienstag, 25. Dezember 2007

Pure Vernunft darf niemals siegen



Fotos: Eisige Baustelle auf dem Platz der Räte in Ulan Ude, Eisbildhauer bei der Arbeit

So, nun etwas Pathos zum Schluss. Ich finde, dieser Tocotronic-Titel passt sehr gut zu Russland, zu Sibirien, zu Burjatien. Außerdem waren Tocotronic immer für mich da, wenn ein bisschen Heimweh aufkam. Und ich habe fleißig CDs von ihnen gebrannt und unter das junge Volk gebracht, es geht ja nicht, dass die hier nur Rammstein und Scooter kennen..
Hier hat niemand auf mich gewartet und mir ist nichts in den Schoß gefallen, ich musste schon immer ganz energisch sagen, was ich will und das auch manchmal hartnäckig. So manchem Interviewpartner bleibe ich vielleicht als die schlecht Russisch sprechende deutsche Journalistin im Gedächtnis, die aber trotzdem über die schwierigsten Themen reden wollte. Aber sie hatten Spaß mit mir, denke ich. (so habe ich, um nur ein Beispiel zu nennen, aus dem „Großen Baikalpfad“ den „Großen Baikal-Leichnam“ gemacht – tropa/ trup)
Ich habe die Zeit genutzt, bin oft unterwegs gewesen und habe sehr viele, sehr interessante Menschen kennen gelernt. Eine Menge Arbeit liegt noch vor mir, denn aus der Fülle des Materials, das ich hier gesammelt habe, kann ich in den nächsten Monaten schöpfen, heißt schreiben und produzieren.
An die leicht lethargische Mentalität der Menschen musste ich mich erst gewöhnen und ich gestehe, ich habe einige (wenige) Male innerlich ein wenig geschimpft mit ihnen. Warum mich Waleri Trenogin von Radio – No - Puls überhaupt eingeladen hat und warum er mir nicht gesagt hat, dass im Sender seit fast zwei Jahren Funkstille herrscht, habe ich aus ihm leider nicht herausbekommen. Nu da.
Ich hoffe jedoch sehr, dass ich etwas von dem Gleichmut – nicht Gleichgültigkeit! – der Sibirjaken und Burjaten in mir bewahren und nach Berlin in meinen Alltag mitnehmen kann, wenn ich bald wieder zwischen Büro, Nebenjob und Kindergarten hin und her hetze und nie das Gefühl habe, zu genügen.
Mir kam irgendwann der Gedanke, dass meine Liebe zu diesem Land, vielmehr zu seinen Menschen vollkommen irrational ist. Dann ist mir aber schnell eingefallen, dass dies ja das ureigene Wesen der Liebe ist.
Wot.
Do wstretschi!
Cati

PS Vielen Dank für die positiven Reaktionen auf diesen Blog!

Last but not least: Danke dem Marion Gräfin Dönhoff-Programm und seinen Verantwortlichen für diese Erfahrungen!

Fotos: Am Baikal




Mittwoch, 19. Dezember 2007

Abschied vom Baikal

Von Irkutsk fahre ich an das westliche Baikalufer, zuerst in das kleine Dorf Bolschoje Goloustnije, das 700 Einwohner hat. Ich wohne bei Fai und Mischa, sie ist Lehrerin in der Dorfschule, er arbeitet bei der oertlichen Telefongesellschaft. Wie die meisten hier halten sie Kuehe, Schafe und Huehner im kleinen Stall hinter dem Holzhaus und im Sommer vermieten sie Zimmer an Touristen. Es ist moeglich, dass sich ihr beschauliches Leben bald aendern wird. Der Baikal ist eine von mehreren *Besonderen Wirtschaftszonen*, die der Kreml ersonnen hat und in Bolschoje Goloustnije ist nun ein riesiger touristischer Komplex geplant. Ich bin hier, um die Meinung der Dorfbewohner dazu einzuholen. Die meist aelteren Einwohner verstehen nicht ganz, was das soll, und faenden es sinnvoller, etwas zu planen, was besser zu den Menschen hier passt und die einzigartige Natur erhaelt. Dieser Meinung ist auch Ludmilla Sigaeva, die das einzige Cafe im Ort betreibt. Voller Stolz erzaehlt sie, dass sie in Klaus Bednarz' Film ueber den Baikal eine der Hauptdarstellerinnen war. (Ich wandle auf Klaus Bednarz' Spuren, hach!)
Lange sitze ich mit ihr im Cafe, denn sie hoert gar nicht auf, von ihm zu schwaermen, so ein wunderbarer Mensch sei er. Ich solle ihn ganz herzlich von ihr gruessen. Das mache ich dann bei Gelegenheit..
Mischa sagt, ich solle auch nach Listwanka fahren, da koenne ich gut sehen, was aus einem ehemaligen Fischerdorf werden kann. Am naechsten Tag geht es dorthin weiter. Es ist nicht so, dass Listwanka schon vollkommen verschandelt waere - bis auf den graesslichen Hotelneubau direkt am Hafen, den Buergermeisterin und Spekulantin Tatjana Wassiljewna hat bauen lassen. Das Dorf ist als solches noch erkennbar, aber an allen Ecken und Enden wird gebaut und einige mehrstoeckige Bauruinen stehen am Ende der Uferstrasse herum. Im Sommer soll hier ein Riesenrummel sein, denn Listwanka ist nicht weit von Irkutsk und damit auch nicht weit von der Transsibstrecke entfernt. Aber im Dezember ist es sehr beschaulich und ich kann bei Baba Ljuba im Holzhaeuschen schlafen. Am Hafen esse ich Omul, einen forellenartigen Fisch, der nur im Baikal vorkommt.
Sonntagmorgen nehme ich Abschied vom Baikal, denn ich habe nur noch eine gute Woche und die werde ich in Ulan Ude verbringen, um noch einige Interviews zu fuehren. Eine Station habe ich nicht geschafft: Das Tunka-Tal. Ich habe mehr Zeit in Irkutsk verbracht als eingeplant, weil einige Interviewpartner nicht sofort alles haben stehen und liegen lassen, um mit einer deutschen Journalistin zu sprechen...verstaendlich!
Das Tunka-Tal kommt dann eben beim naechsten Sibirien-Besuch dran!

Dienstag, 11. Dezember 2007

Die Zeit rennt- und ich mit ihr!



Fotos: Eisprinzessin, Maxim einsam mit Fahne *Anderes Russland*, gefrorener See bei Irkutsk
Manchmal habe ich das Gefühl, dass einige meiner Projekte hier etwas überambitioniert sind. Zum Beispiel, wenn mich wichtige Herren im Internationalen Zentrum für Urananreicherung in Angarsk zwei Stunden lang mit PR-Material der Atomindustrie bearbeiten. Aber wer weiß, vielleicht hätte ich auch gar nicht soviel mehr verstanden, wenn sie deutsch geredet hätten…Swetlana, Journalistin bei der kleinen Zeitung „Vremja“ in Angarsk und scharfe Kritikerin des Kombinats, hatte mit geraten, das Zentrum zu besuchen, um auch die „andere Seite“ zu hören.
Mir quillt gerade der Kopf über, so viele Menschen habe ich in der vergangenen Woche in Irkutsk getroffen, zu vielen unterschiedlichen Themen, so dass ich die Begegnungen nur stichpunktartig auflisten kann und hoffentlich nicht allzu verwirrend.
Zuerst habe ich mich mit Mitgliedern der „Baikal-Welle“ getroffen, einer sehr bekannten NGO in Irkutsk. Sie ist in verschiedene Richtungen und auch gegen die Angarsker Uranindustrie engagiert. Die Ekologisti der Welle, so nennen sich hier die Umweltengagierten, sind wiederum unterschiedlich politisch aktiv.
Igor ist in der Autonomen Aktion in Irkutsk. Er war dabei, als im Juli ein Zeltlager gegen das Angarsker Kombinat von Rechten überfallen wurde. Einen Aktivisten, Ilja, schlugen die Nazisti dabei tot. Über Igor und seine Freunde möchte ich berichten.
Maxim ist neben seinem ökologischen Engagement Nationalbolschewist. Er sieht Lenin zum Verwechseln ähnlich. Die Nationalbolschewisti sind eine krude Mischung aus extrem links und extrem rechts, aus Subkultur und autoritärem Denken. Alles in einen Topf geschmissen, mit ordentlich sowjetischer Tradition gewürzt, und herumgerührt. Galionsfigur ist Schriftsteller Eduard Limonov in Moskau, die Partei wurde 2005 verboten. Die NB sind nun eine strategische Partnerschaft mit dem Oppositionellen Garri Kasparov und seinen Anhängern eingegangen, um als „Anderes Russland“ eine stärkere Opposition zu bilden.
Maxim lädt mich zu sich nach Hause ein und gemeinsam mit seiner Frau Tanja und einigen Genossen hören wir russische Punkmusik, kiffen und reden über Putin und die Mächte hinter ihm. So weit, so gut. Maxim führt einige Filme über die skandalträchtigen Aktionen der Irkutsker Gruppe vor, darunter eine Demonstration gegen chinesische Einwanderer. Ich sage, dass ich so was nur von Nazis kenne. Maxim erklärt, dass die Aktion nicht gegen die Immigranten selbst gewesen sei, sondern gegen die Regierung, die zu lasch gegen die illegale Einwanderung vorgehe. Aha. Ich spreche die „Eurasische Idee“ an, die von den Nationalbolschewisti propagiert wird. Das ist letzten Endes – ganz grob - die Utopie von einem Eurasischen Riesenreich.
Ich sage, ich bekomme Angst, wenn ich das höre. Ein junger Mann namens Alexej fragt in aggressivem Ton: „Wovor hast Du denn Angst? Vor der Größe, vor der Stärke?“ Ich antworte „Ja“, und dass ich von diesen Ideologien nichts halte, 20. Jahrhundert und so. Da winkt er ab, ich habe mich anscheinend als Gesprächspartnerin disqualifiziert.

Die Welt ist klein: In meinem Hostel campiert auch die Moskauer SkaPunk-Gruppe „Distemper“, die auf Sibirien-Tournee ist. Distemper spielen oft in Berlin und wir haben gemeinsame Bekannte in Friedrichshain. Nach dem Konzert, auf dem ich mich mal wieder unter lauter 20-jährigen befand, stoßen wir auf ein Wiedersehen in Berlin an.
Überhaupt ist das Hostel ein Quell immer neuer Kontakte. So mache ich Bekanntschaft mit drei Erleuchteten: Chansun aus Korea, Kay und Priscilla aus den USA, die seit Jahren von Ort zu Ort in Russland und Kasachstan ziehen, um die Bibel zu predigen und die Menschen noch zeitig vor dem jüngsten Tag auf den rechten Weg zu bringen. Sonst droht immerwährende Finsternis. Es ist wirklich eine Herausforderung, etwas aus ihnen heraus zu bekommen, denn sie sprechen nur in Bildern. Ich mache ein Interview mit Chansun über seine Arbeit und seine göttliche Inspiration, die Damen zieren sich leider.
Religiös geht es auch weiter, ich treffe mich mit Tomas aus Deutschland, der hier eine evangelisch-lutherische Gemeinde aufbaut und auf dem Land einen Bauernhof gegründet hat, der alkohol- und drogenabhängige Jugendliche aufnimmt. Dorthin fahren wir gemeinsam.

Ich denke, das reicht erstmal, oder? Mir auch. :)
Poka
Cati

PS Es sind jetzt mittlerweile minus 20 Grad hier und es ist eigentlich ganz angenehm!

Sonntag, 2. Dezember 2007

Nur kurz

Ich hatte einen schoenen Geburtstag in Ulan Ude. Am Freitag mit Aljonna zu Hause reingefeiert, tagsueber habe ich das Frauen-Datsan in Ulan Ude besucht, um Aufnahmen zu machen und dann war ich mit Klem und Alexej im Cafe. Die beiden sind "Melomanie", so nennen sich hier die Musikenthusiasten. Ich war schwer beeindruckt, dass Mittzwanziger in Ulan Ude Joy Division kennen. Aber eine Subkultur ist in der Stadt so gut wie nicht vorhanden, die beiden sind wirklich Ausnahmen. Dann habe ich mich noch mit Lena getroffen, die ich auf der Fahrt ins Bargusin-Tal kennen gelernt habe, wir haben auf dem Platz der Raete, neben dem Lenin-Kopf eine Flasche Schampanskoje gekoepft.
Und ich bin besaenftigt, was meinen erwaehnten Bericht betrifft,
ist heute ganz weit oben bei zeit.de!
Bei Interesse:
http://zuender.zeit.de/2007/49/russland-putin-wahlkampf
Poka

Samstag, 1. Dezember 2007

Sakamensk




In dieser Woche war ich mit Tujana und Oxana, zwei Journalistinnen der Zeitung Inform Polis, auf Kommandirovka (ich liebe dieses Wort). Ich komme als Fotografin mit, so schnell geht das. Sascha, an dessen Fahrstil ich ja schon gewöhnt bin, fährt uns. Unser Ziel ist Sakamensk, eine kleine Stadt ganz im Süden der Republik, ganz nah an der mongolischen Grenze. Auf der siebenstündigen Fahrt durch die weite, hügelige Landschaft, die sich langsam Richtung Steppe verflacht, halten wir an einer Posnaja an, wo es die Nationalspeise der Burjaten gibt, Posi. Das sind in Teig gehüllte Frikadellen, so eine Art Riesen-Pelmeni, die aber in Dampf gegart werden. Wie immer in Russland bin ich zur Fleischfresserin mutiert, es wäre sonst einfach asozial. Wie oft bin ich schon voller Stolz zum Posi-Essen eingeladen worden. (Hatte ich schon die extrem große burjatische Gastfreundschaft erwähnt?) Und sie sind wirklich sehr lecker.
Sakamensk, 13 000 Einwohner, ist arm. Zu Sowjetzeiten lieferte das Kombinat aus den umliegenden Stollen das Mineral Wolfram, aus denen u.a. sowjetische Panzer gefertigt wurden. Mitte der Neunziger wurde es geschlossen, weil es sich nicht mehr rentierte. Die Menschen in Sakamensk blieben ohne Perspektiven. Sie gingen weiterhin auf eigene Faust in die Schächte, um das Wolfram zu bergen, um es an bestimmten Sammelstellen zu verkaufen. An einem guten Tag lässt sich dort die Hälfte eines Monatseinkommens für unqualifizierte Arbeit, der die Schachteure sonst nachgehen müssten, verdienen. (4000 Rubel. Höhe der Sozialhilfe: 800 Rubel, 23 Euro. Das Kindergeld für ein Kind beträgt 120 Rubel, das sind noch nicht einmal vier Euro. Und das bei Lebensmittelpreisen, die sich mittlerweile nicht mehr wesentlich von denen in Deutschland unterscheiden.)
Aber das Wolfram aus den alten, nicht gewarteten Stollen zu holen, ist auch ungleich gefährlicher. Schon oft kam es in den letzten Jahren zu tödlichen Unfällen, erst im Oktober sind sieben Männer an giftigen Gasen, die in den Schächten aus den Felsspalten treten, gestorben. Burjatiens Präsident Nagowizin ließ die Schächte daraufhin endgültig versiegeln, ohne irgendwelche Alternativen anzubieten.
Wir sind hier, um mit den ehemaligen Schachteuren zu sprechen. Einer von ihnen ist Dima, 34 Jahre alt. Er sieht 15 Jahre älter aus. Um auf seine Situation und die seiner Freunde aufmerksam zu machen, hatte er bei der Zeitung angerufen.
Wir bleiben eine Nacht, Oxana recherchiert auch noch ein anderes Thema, hier ist die Zahl der jugendlichen Schulverweigerer die hoechste der Republik. Wir fahren zu dem verfallenen Kombinat, ich fotografiere, und wir müssen dann alle schnell ins Auto springen, denn wir werden von Männern, die hier Altmetall sammeln, mit Steinen beworfen (s. Foto).
Auf dem Rückweg machen wir Halt in einem burjatischen Dorf. Grund: Burjaten sind hervorragende Bogenschützen und aus diesem Dorf stammen einige international erfolgreiche Sportler. In tiefschwarzer Nacht, auf den Dörfern gibt es keine Straßenbeleuchtung, machen wir uns auf die Suche nach dem Trainingszentrum. Unser Besuch wird freudig als willkommene Abwechslung aufgenommen. Der örtliche Trainer lädt uns zu sich ein, und es ist für mich immer wieder erstaunlich, in welcher Geschwindigkeit sie hier einen Tisch, der sich mit köstlichen Gerichten biegt, herzaubern. Muss ich erwähnen, dass das selbstverstaendlich die Frauen machen? Währenddessen bewundern wir die Pokale des Trainers und er erzählt, dass das Bogenschießen den Burjaten im Blut liege, denn schließlich seien sie Nachkommen Dschingis Khans. Seinen Namen habe ich jetzt schon oft gehört, er ist hier großer Held. Die Burjatien fühlen sich sehr verbunden mit den Mongolen und ihrer Geschichte. Vom Wodka gewärmt, satt und zufrieden fahren wir durch die burjatische Nacht Richtung Ulan Ude.
Nach diesem langen Post hört Ihr vielleicht länger nichts von mir, ich gehe ab Sonntag auf große Tour, Irkutsk, Angarsk, westliches Baikal-Ufer, Tunka-Tal. Material sammeln für unterschiedliche Themen. Die mir hoffentlich in Deutschland abgenommen werden!
Meinen Bericht „Agitatoren, Mitläufer und Widerständige. Im sibirischen Ulan Ude vor den Duma-Wahlen“ habe ich wie blöd angeboten. Entweder negative oder keine Reaktionen. Aber zeit-online wird ihn in morgen veroeffentlichen. Jetzt erfahre ich selbst, worüber ich in meiner Diplomarbeit geschrieben habe. Aus der russischen Provinz kommen vielleicht exotische, bizarre Themen an. Die Redakteure konzentrieren sich, was politische Berichterstattung angeht, auf Moskau, ist ja auch klar. Trotzdem schade.
Do cvjasi!
Cati
PS Glueckwuensche zum Geburtstag nehme ich noch gern entgegen :)

Freitag, 23. November 2007

Bilder Bargusin-Tal







Wodka-Pause, Kurumkan und Folklore Gruppe


Agitatoren aus Moskau

Ich habe jetzt Kontakt zu den Naschi-Aktivisten, die kurz vor der Wahl aus Moskau hierher beordert wurden, um die Jugend zu Putin-Gläubigen zu machen. In Burjatien gab es bislang keine der aggressiven Aktionen der „Unsrigen“, weil sich keine Aktivisten finden ließen. Das soll sich mit Lena und Denis ändern. Die beiden forschen Mittzwanziger haben am Abend eine Versammlung organisiert und eine kleine Gruppe Studierender hat sich zusammengefunden. Denis, professionell geschult, bereitet sie auf ihre anstehende Aufgabe vor: Als „Brigadiere“ sollen sie in Universitäten dazu aufrufen, an den Wahlen teilzunehmen. Da „Naschi“ eine Bewegung und keine politische Partei ist, ist der Aufruf oberflächlich neutral gehalten. Unmissverständlich jedoch, wo das Kreuzchen zu setzen ist.

„Wie heißt das Instrument für das Wachstum unseres bedeutenden Landes?“ Die junge Frau, die aufstehen muss, um zu antworten, lächelt verzweifelt. Denis wartet mit strengem Blick auf die richtige Antwort. „Der Sieg Russlands - vielleicht?“ fragt sie schüchtern. Die anderen kichern und Denis lächelt spöttisch. Die Befragte hat den Wahlkampfslogan der Partei „Einiges Russland“ durcheinander gebracht, der da heißt: „Putins Plan: Der Sieg Russlands!“. Die richtige Antwort wäre „Putins Plan“ gewesen.

Lena, gar nicht dumm, dreht den Spieß für mich um, und stellt mich kurzerhand als Journalistin aus Deutschland vor, die gern Fragen beantwortet. Äh. Unversehens bin ich Repräsentantin westlicher Politik und muss Fragen zu folgenden Themen beantworten:
-Welche Probleme junge Menschen in Deutschland haben
-Berichterstattung über Naschi, Putin, Russland in deutschen Medien
-Orangene Revolution und die Rolle der USA
-Irak-Krieg, Stellung Deutschlands dazu
-Energieversorgung, Konflikt mit der Ukraine, Stellung Deutschlands dazu
i tak dalje. Puh. Alles auf Russisch. Ich habe ehrlich geantwortet, das löste mitunter Erstaunen aus.
Morgen sind aber die Naschi-Agitatoren dran, dann frage ich!

Mittwoch, 21. November 2007

Bargusin-Tal

Nach unserer Rückkehr nach Ulan Ude bin ich am nächsten Tag sofort wieder losgefahren, diesmal mit der NGO "Firn", die mit ihrem Ableger "Firn-Travel" auch ökologischen Tourismus betreiben, und das ist gar nicht so selbstverständlich hier. Im Minibus ging es die gleiche Strecke wieder nach Norden, den Baikal entlang, aber dann nochmal weitere vier Stunden in das Bargusin-Tal, der höchste Gipfel der umliegenden Berge ist fast 3000 Meter. Die Jungs von Firn-Travel, Alexej, Slawa und Igor haben dort ein ethno-kulturelles Festival ausgerichtet: Durch die Abgeschiedenheit des Tales haben sich hier die burjatische und die - noch viel ältere ewenkische- Kultur erhalten. Die Ewenken lebten hier noch vor den Burjaten, sie waren ein Waldvolk (die Burjaten waren ein Steppenvolk) und in Kleidung und Bräuchen den Indianern sehr ähnlich. Die Vorfahren der Indianer sind ja laut Ethnologen sowieso vor langer Zeit aus Sibirien über Alaska nach Amerika gewandert, aber ich will hier nicht dozieren.
Firn-Travel will mit dem Festival, das unter dem Motto "Was würde ich Gästen im Bargusin-Tal zeigen?" steht, den Bewohnern Möglichkeiten eines bescheidenen Auskommens im Tourismus aufzeigen, und dazu gehört eben auch die Darbietung von Folklore. Mehrere Ensembles aus der Umgebung stellen sich hier im Wettbewerb einer Jury. Die Jurymitglieder sitzen auch mit im Minibus, sie sind alle irgendwie Funktionäre aus Ulan Ude und arbeiten u.a. im Ministerium für Tourismus. Nach neun Stunden Fahrt und zahlreichen, schon erwähnten Haltestellen kommen wir in Kurumkan an, ein größeres Dorf, umgeben von eindrucksvollen Bergen. Es ist sehr kalt hier, aber das muss ich wohl eigentlich nicht erwähnen.
Jedenfalls stehe ich ja nicht so auf Folklore, aber am folgenden Tag wohne ich brav dem Festival bei, das in der Stadthalle stattfindet, mache viele Fotos und Aufnahmen der Gruppen, denn es ist ja alles interessant für mein Tourismus-Thema. Außerdem werde ich einen Artikel für Inform Polis über das Festival schreiben.
Das Tal hat auch noch einiges anderes zu bieten, z.B. ein buddhistisches Datsan, besondere, heilige Felsformationen und heiße Quellen. Und alles vollkommen abgeschieden, vom Tourismus vollkommen unberührt. Firn-Travel setzen auf sanften und lebensnahen Tourismus, so werden Touristen in einheimischen Familien untergebracht.
Nach dem Festival wartete im einzigen Cafe der Dorfes ein riesiges Fest-Bankett auf uns und ich werde den Verlauf des weiteren Abends nicht detailreich beschreiben, nur soviel: Die spinnen, die Russen!
Unzählige Wodkaflaschen wurden vernichtet und natürlich wurde ich auch dazu aufgerufen, einen Tost zu bringen. Bei den anderen waren die Tosts bereits zu ca. halbstündigen Reden und gesanglichen Darbietungen ausgeufert. Ich habe mich tapfer geschlagen, und wirklich länger geredet, so lange, dass ich am Ende fast den Tost vergessen hätte, der da lautet: "Sa wasche rodina!" (Der Fall ist bestimmt wieder nicht richtig..ich werde mir das nie merken können) Das kam natürlich super an, alle waren stolz auf mich ("Maledjez!") und ich war auch stolz auf mich.
Im Nebenraum fand zeitgleich die samstagliche Dorfdisko statt, wohin sich dann die lustige Gesellschaft im späteren Verlauf verlagerte. Warum hört sich russischer Billig-Pop in Russland eigentlich so gut an und in Deutschland dann immer so schrecklich? Tschornie Glasa, na, na tschornie glasa...

Montag, 19. November 2007

Baikal-Fahrt




Unterwegs

Ich war in der vergangenen Woche viel unterwegs. Erstmal haben mich Coelma und Slawa, die Herausgeber der Zeitung Inform Polis, zu ihrer Tourbasa (Ferienheim für die gesamte Belegschaft) an den Baikal mitgenommen. Das Dorf heißt Ust-Bargusin und liegt vor der "heiligen Nase" an der Ostküste. Mit von der Partie war Larissa, die früher bei der Zeitung gearbeitet hat, vor acht Jahren aber nach Israel ausgewandert ist, und das erste Mal auf Heimatbesuch ist. Die Fahrt dauerte fünf Stunden und Sascha, unser Fahrer brettert in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit über vereiste Pisten, die ich nicht als Straßen bezeichnen möchte. Während Falcos "Jeanny" aus den Boxen des BMW-Jeeps dröhnt, Slawas Lieblingslied, taste ich unauffällig nach dem Verschluss des Sicherheitsgurtes. Vergebens. Um mein deutsches Sicherheitsbedürfnis nicht preiszugeben, frage ich auch nicht danach. Hier schnallt sich wirklich niemand an.
Unterwegs halten wir oft an: An der Straße gibt es viele heilige Orte, die an den bunten Bändern in den Bäumen erkennbar sind. An ihnen huldigen die Reisenden den Geistern der Natur. Das geschieht so: Alle steigen aus, die Wodkaflasche wird ausgepackt, einige Tropfen mit Fingern in die Landschaft verspritzt, den Rest selbst trinken, ausgenommen erfreulicherweise der Fahrer.
Nach einigen dieser Haltestellen kralle ich mich auch nicht mehr so panisch an dem Türgriff fest und verliere nicht die Fassung, wenn der Wagen mal die Bodenhaftung verliert.
Der erste Halt am Baikal ist sehr emotional, die Sonne geht gerade unter, und ich stehe tatsächlich das erste Mal an seinem Ufer. Larissa war seit acht Jahren nicht mehr hier und weint, und auch meine Gefühle werden ganz - russisch.
Als wir in der Tourbasa eintreffen hat Köchin Lena schon kräftig aufgetischt, u.a. einen riesigen Fisch aus dem Baikal. Nach viel Essen und Trinken packt Slawa die Gitarre aus und es ist nicht übertrieben, wenn ich sage: Kak Wyssotzki! (berühmter russischer Sänger) Wunderbar. Und wenn ich dann auch noch erzähle, dass wir am nächsten Abend in der Banja waren und ich etwas gemacht habe, was ich schon immer machen wollte, nämlich sich nach der Banja draußen in einen großen Haufen Schnee zu schmeißen, weiß ich, dass einige von Euch neidisch sein werden. Mehr Neid erzeuge ich im nächsten Post, da erzähle ich vom Bargusin-Tal, und Fotos folgen. Poka Cati.

Sonntag, 11. November 2007

Burjatisches Dorf und Nebensächlichkeiten



Das ist die übliche Schuhmode hier. Ob ich mich modisch ein wenig anpasse und mir auch Stiefel mit Absätzen kaufe? Aber wo ziehe ich die in Berlin an? Die Kollegas im Büro wären sicher irritiert.

Lenin und Tscheburaschka


Das ist ein Blick über den Platz der Räte mit dem riesigen Leninkopf. Überhaupt wurde hier
nicht viel aus sowjetischen Zeiten entfernt. Im Regierungsgebäude hängen auch noch überall große CCCP-Embleme.
Dieses Bild ist für Lilly: Im Land des Tscheburaschka!

Bilder




Studenten aus der buddhistischen Uni und Darima und Katja aus dem burjatischen Dorf nebenan, sie baten mich, sie zu fotografieren.

Es wird kalt

Jetzt setzt hier langsam die sibirische Kaelte ein, mir gefaellt sie, sehr klar, sehr trocken, und dazu jeden Tag strahlender Sonnenschein. Ich war diese Woche fleissig und war u.a. an zwei Tagen im Datsan, um Aufnahmen mit Dozenten und Studenten der Uni dort zu machen, sind gut gelungen und war sehr spannend. Eine ganz andere Welt.
In einer ganz anderen Welt leben auch Tanja und Aljonna, aber nachdem ich angekuendigt habe, dass ich ausziehe, ist es ruhiger, mal sehen.
Es ist jetzt in Gespraechen schon mehrere Male passiert, dass Russen sich abfaellig ueber Burjaten aeussern, ich kann natuerlich nach der kurzen Zeit noch nicht sagen, dass das verallgemeinerungsfaehig ist. Jedenfalls scheint es einige zu geben, die sich fuer was Besseres halten, wie immer. Viele Burjaten seien nicht zivilisiert, ich solle bloss mal aufs Land fahren und ein burjatisches Dorf besuchen (auf dem Land gibt es oft entweder vorwiegend russische oder burjatische Doerfer).
Und die Russen in Ulan Ude schwaermen von Irkutsk, die naechste groessere Stadt westlich,
da sei doch die Zivilisation! (Irkutsk ist sehr europaeisch-russisch, noch nicht so asiatisch gepraegt wie Ulan Ude).
Die gebildetsten, engagiertesten und interessantesten Menschen, die ich hier bisher kennengelernt haben, sind Burjaten. Aber bevor ich hier anfange, ueber die arroganten Russen zu schimpfen, nach erst zwei Wochen, warte ich besser ein bisschen ab und berichte Euch dann spaeter, ob sich diese ersten Eindruecke bestaetigen. Ich habe eine neue Woche vor mir, die voller Termine ist, auf die ich mich freue. Wenn das nichts ist!

Montag, 5. November 2007

Die gefrorene Selenga




An den Ufern überall Bier- und Wodkaflaschen.

Bilder



nochmal ein Bild aus dem Datsan, und ein Blick über Ulan Ude, in der Ferne der Fluss Selenga, der in den Baikal fließt.

Funkstille

Heute war Generaldirektor Valeri Trenogin das erste Mal im Büro. Er fuhr in einem Ford-Jeep gigantischen Ausmaßes, schwarze Scheiben, vor und kam dann später an meinen Tisch, murmelte, er sei Valeri, wir könnten ja später mal reden, und verschwand in seinem Zimmer. Seitdem Funkstille. Ich bin dann abends selbst zu ihm herein gegangen und meinte nur, ich hätte ja herausgefunden, dass Radio Puls seit fast zwei Jahren nicht sendet. Er erklärt, dass nach einem neuen Gesetz, das im letzten Jahr vom Kreml erlassen wurde, die alten Lizenzen für unabhängige Sender nicht mehr gültig waren und neu beantragt werden mussten. Gleichzeitig war niemand für die Erteilung der neuen Lizenzen zuständig in Moskau.
Nicht nur bei Radio Puls, sondern bei vielen anderen Sendern im Land herrsche Funkstille. Nach den Wahlen könnten sie aber bestimmt bald wieder den Betrieb aufnehmen. Eine von zwei nötigen Lizenzen hätten sie auf jeden Fall schon.
Er könne vielleicht einen Kontakt zum staatlichen Radiosender herstellen, da könnte ich ja auch arbeiten. Ich verlasse mich aber lieber auf meine eigenen Kontakte und werde wohl bei der Zeitung Inform Polis mitarbeiten. Über deren Arbeit werde ich sowieso berichten, sie haben in diesem Jahr den Gerd-Bucerius-Preis für unabhängige Berichterstattung in Osteuropa erhalten. (ich habe die Zeitung bereits gelesen, war auch schon in der Redaktion, d.h. es gibt sie..)

Scooter und Naschi

Ich bin am Wochenende doch in der Stadt geblieben, eine Fahrt an den Baikal ist für nächstes Wochenende angesetzt.
Dafür war bei Aljonna und Tanja wieder Party angesagt. Ich bin ja wirklich auch feierfreudig und dem Wodka gelegentlich keineswegs abgeneigt, aber eine Wohnung voller betrunkener Anfang 20jähriger, die enthusiastisch zu Scooter („eins, zwei, Grenadier“) und Modern Talking tanzen, geht über mein erträgliches Maß hinaus.
Ich werde als Attraktion aus Deutschland vorgeführt.
Viktor, einer der Partygäste, ein wohlgenährter 26jähriger, klärt mich über die besondere Beziehung der Sibirier zum Wodka auf. Diese sei nämlich noch mal eine viel stärkere als die der Russen zu dem Getränk allgemein: „In Sibirien trinken wir Wodka eigentlich zu jedem Anlass, in jedem Gemütszustand. Ob wir glücklich oder traurig sind oder irgendwas dazwischen. Er gehört immer mit dazu.“ Den Eindruck hatte ich selbst auch schon gewonnen.
In der nächsten Nacht ist erst alles ruhig, aber dann kommt um drei Uhr früh Besuch vorbei.
Ich werde mir wohl anderswo ein Zimmer suchen, Tanja und Aljonna sind wirklich nett, aber ich bin einfach keine Anfang 20 mehr und zum Arbeiten hier. Und Scooter verabscheue ich aus tiefstem Herzen.
Die Wahlkampfphase für die Dumawahlen am 2. Dezember läuft hier jetzt richtig an, das heißt der Wahlkampf von der Partei „Einiges Russland“, denn die anderen Parteien sind eigentlich gar nicht präsent. Überall auf den Straßen sind riesige Plakate der Partei zu sehen, auf denen es heißt: „Putins Plan: Der Sieg Russlands!“ oder „Wir glauben an Russland, wir glauben an uns!“
Sonst noch vereinzelt Plakate von der Schirinowski-Partei LDPR, auf denen steht: „Nicht lügen und sich nicht fürchten!“
Im Büro mache ich eine interessante Entdeckung: Im hinteren Raum, wo die Textilien bedruckt werden, stapeln die Mitarbeiterinnen hunderte Schals und Regenjacken mit dem roten „Naschi“-Symbol, dem Zeichen der Putin-Jugend (die „Unsrigen“). Bei meinen Vorrecherchen hatte ich aus der Naschi-Zentrale in Moskau noch die Nachricht bekommen, dass sie bisher in Ulan Ude nicht aktiv seien. Natascha sagt, dass eine gewisse Lena die Bestellung aufgegeben hat, sie sei speziell aus Krasnojarsk nach Ulan Ude beordert worden, um Naschi hier – zeitgerecht zu den Wahlen – aufzubauen. Sie wird mir den Kontakt herstellen.
Ich finde es schon bemerkenswert, dass ein ehemals regierungskritischer Radiosender jetzt – zur Werbeagentur umgemodelt - das Propaganda-Material der aggressiven Jugendbewegung des Kreml produziert. Aber es geht wohl einfach nur um die Bestellung eines Kunden.

ein paar Bilder aus dem Datsan




Donnerstag, 1. November 2007

Eine Nacht im Kloster

In der Marschroutka (so heißen die Minibusse, die neben normalen Bussen und Straßenbahnen den Großteil des öffentlichen Nahverkehrs übernehmen) zum Kloster kommen wir an vielen kleinen Dörfern vorbei, die alle aus den typischen kleinen Holzhäusern bestehen. Die Landschaft ist sehr schön, weite Ebenen und in der Ferne sind Bergketten zu sehen. Im Kloster wartet Camdam Lama schon auf mich, ein ernster junger Mann, der Englisch mit mir reden will, weil er lange in einem indischen Kloster gelebt hat und dort viel Englisch gesprochen wurde. Außerdem habe ich auch den Eindruck gewonnen, dass die Burjaten Russisch zwar als offizielle Sprache anerkennen, sonst aber auf burjatisch kommunizieren. Über die ganze Burjatien-Russland-Problematik habe ich auch schon mit Dorscho gesprochen und es wird auch sehr interessant sein, darüber zu berichten.
Camdan erzählt, dass gerade buddhistische Feiertage im Kloster begangen werden, er habe wenig Zeit, und mit Studenten sollte ich auch nächste Woche erst sprechen, aber ich könne gern die Nacht hier verbringen, um schon einen Eindruck von der Atmoshäre zu bekommen. Sehr gern. Ich habe ein Holzhäuschen mit Holzofen und schwarzer Katze (Buchenhüll lässt grüßen..) ganz für mich und während der Nacht, in der immer mehr Gläubige in das Kloster strömen, schneit es sehr kräftig, so dass sich das Klostergelände mit seinen bunten Gebäuden am nächsten Morgen ganz idyllisch winterlich präsentiert.
Im Hauptgebäude sind die Feierlichkeiten schon in vollem Gang, die Mönche singen tibetische Verse, die Gläubigen huldigen dem Körper des Lamas Etigelow, der seit seinem Tod 1927 praktisch keine Spuren von Verwesung zeigt, und der in einem Metallkasten auf der Kopfseite des Gebetshauses thront. Die Gläubigen stehen an, um sich "von ihm" segnen zu lassen und auch ich reihe mich ein, um einen näheren Blick zu erhaschen: Er sieht zwar verschrumpelt, aber wirklich nicht verwest aus. Welche medizinische Erklärung es für dieses Phänomen gibt, weiß ich gar nicht, lässt sich aber bestimmt schnell herausfinden. Leider konnte ich kein Foto von ihm machen, das war verboten. Ansonsten kommen bald auch Fotos in diesem Blog, versprochen, habe schöne Bilder gemacht im Kloster.
Ich muss ja gestehen, dass ich gar nicht soviel über Buddhismus/Lamaismus weiß, dafür ist es umso spannender.
Am Wochenende fahre ich eventuell mit Dorscho und Familie auf die Datscha am Baikal, danach melde ich wieder!
Poka Cati

Kontakte

Ich habe einen Arbeitsplatz im Büro und auch bald einen eigenen Internetzugang, damit bin ich zufrieden und kann arbeiten. Die anderen im Büro sind nett und fragen sich wohl, was ich hier mache. Irgendwie frage ich mich das auch. Natascha meint, sie könnte ja ein Treffen mit einem Journalisten für mich ausmachen. Ich wolle wohl journalistisch arbeiten? Ja, ich bin nicht gekommen, um zu lernen, wie man T-Shirts bedruckt. Ich fange einfach an, bei meinen recherchierten Kontakten anzuklopfen und siehe da, es geht was:
Dorscho Dugaev, Kopf der oppositionellen Bewegung Oborona in Ulan Ude, stellt sich als Kontakt allererster Güte heraus: Er kennt alles und jeden in der Stadt, es ist wahnsinnig interessant, sich mit ihm zu unterhalten, ist Assistent des hiesigen Jabloko-Kandidaten (mit dem ich direkt ein langes Gespräch über russische Politik führe- und sprachlich geht es!!!!!!!) und sehr bemüht, mir zu helfen. Einem Bericht über die russische Opposition weitab von Moskau steht also nichts im Weg.
Da er Burjate und damit auch Buddhist ist (zur Erklärung: "Burjaten" nennt sich hier nur die asiatische Bevölkerung, die anderen sind die "Russen"..) stellt Dorscho mir auch einen Kontakt zu einem Mönch im Datsan (buddhistisches Kloster) in Iwolginsk, 30 km von Ulan Ude entfernt, her. Er ist dort Dozent an der buddhistisches Uni, über die ich ja berichten möchte. Am nächsten Tag fahre ich hin.

Radio No Puls

Ok, ich weiß jetzt mehr, was den Radio-Sender angeht: Im Februar 2006 wurde Radio Puls die Lizenz entzogen und seitdem senden sie nicht mehr. Seitdem versuchen sie, diese zurückzubekommen, aber die Lizenz ist teuer und mit wahnsinnig viel Papierkram verbunden. Natascha sagt, das sei aus politischen Gründen geschehen, unter Vorwand bürokratischer natürlich. Und vor den Wahlen würden sie die Lizenz sowieso nicht zurückbekommen, klar. Radio Puls hat unter anderem auch das Programm von Radio Free Europe/Radio Liberty ausgestrahlt.
Jetzt arbeiten sie als Werbeagentur, das heißt, sie drucken T-Shirts, Einladungen, Restaurantmenüs.
Natascha wundert sich, warum Valeri Trenogin mir das nicht gesagt hat. Ich wundere mich auch. Aber wenn er wieder da ist nächste Woche, erklärt er mir das vielleicht?
Jedenfalls interessant.

Zu alt

Ich muss nicht mehr im Stundenhotel übernachten und bin jetzt bei Tanja und Aljonna eingezogen, zwei 21-jährige russische Schönheiten. Natascha aus dem Büro hat mir das Zimmer organisiert, sie meint, das sei doch lustiger als bei einer Familie. Gleich am ersten Abend wurde ich über alles unterrichtet, was wichtig im Leben der beiden ist. Beide arbeiten, Aljonna studiert auch noch nebenbei, "Ökonomie". Tanja ist mit dem „Ökonomie“-Studium schon fertig und hat bereits einen einjährigen Sohn, der bei Oma und Opa in einem Dorf am Baikal lebt. Der Vater ist nicht präsent. Sie sind wahnsinnig lieb, aber ich glaube, das wird anstrengend. Die Wohnung ist sehr hellhörig, der Fernsehr plärrt unentwegt, ihre Handys klingeln pausenlos und am zweiten Abend wurde mit zwei verstockten Jünglingen bis vier Uhr morgens Wodka getrunken, ich musste natürlich teilnehmen. Ich bin zu alt für sowas.

Kurze Stadtführung

Ulan Ude gefällt mir. Es ist eine gemütliche Stadt, die sich zwar mit ihren knapp eine halbe Million Einwohnern weit über die umliegenden Hügel ausbreitet, aber ein übersichtliches Zentrum hat. Sie ist seit Jahrhunderten Handelsknotenpunkt zwischen China und Russland und die reichen Händler von damals haben hier klassizistische Bauten hinterlassen. Viele reich verzierte Holzhäuser sind auch noch erhalten. Es gibt sogar eine Fußgängerzone, die sie „Arbat“ nennen, nach der berühmten Straße in Moskau. An den Laternenpfählen der kleinen Einkaufsstraße sind überall Lautsprecher angebracht, die einen mit russischer Popmusik beschallen, das ist gewöhnungsbedürftig.
Auf dem „Platz der Räte“ steht noch der größte Leninkopf der Welt, interessanterweise mit asiatischen Gesichtszügen. Überhaupt lässt sich ganz deutlich merken, dass dies hier der asiatische und nicht der europäische Teil Russlands ist, mindestens 50 Prozent der Menschen auf der Straße sind Asiaten, genauer gesagt Burjaten.

Ankunft Ulan Ude

Valeri Trenogin, Generaldirektor, ist auf „Kommandirovka“ (Geschäftsreise) und niemand sonst bei Radio Puls weiß, dass ich heute komme, stellt sich bei einem Anruf im Büro heraus. Ich soll mit dem Taxi kommen. Der Taxifahrer findet das Haus ewig nicht. Ich beginne zu zweifeln, ob es diese Radio-Station wirklich gibt. Doch da endlich, versteckt im Hinterhof, ein kleines Schild: Radio Puls. Natascha nimmt mich in Empfang.
Ein Zimmer haben sie noch nicht für mich besorgt. Natascha schlägt mir vor, die nächsten Tage erstmal in einer Pension zu übernachten. Ob 60 Euro pro Nacht in Ordnung seien? Njet, Natascha. Bis sie ihre Sachen erledigt hat und sich um eine Unterkunft kümmern kann, kann ich ins Internet und Tee trinken. In den zwei vorderen Räumen stehen Computer und ich sehe auch drei Mitarbeiter. Im hinteren Raum lackieren Menschen irgendwelche Gegenstände, das scheint eher eine Werkstatt als ein Sender zu sein. Auf Nataschas Visitenkarte steht, dass sie Generaldirektorin einer Werbeagentur ist - es wird sich für mich mit der Zeit sicher klären, wie hier alles zusammenhängt..
Valja, eine der Mitarbeiterinnen, kennt eine Pension ganz in der Nähe, in der ein Einzelzimmer 20 Euro pro Nacht kostet. Na gut. Wir fahren mit dem Taxi hin. Auf der Preisliste der Pension steht als Minimum-Mietdauer drei Stunden. Da es eine Pension mit sehr dünnen Wänden ist, werde ich abends mit spitzen Schreien in den Schlaf begleitet.

Wodka und Baikal

Am nächsten Abend gibt es ein Wodka-Besäufnis im einem der Nachbarabteile, mit Teilnehmern aus Korea, Dagestan, Moskau und Berlin. Am Morgen danach finde ich das Ruckeln des Zugs überhaupt nicht mehr schön. Ich drücke mich seit dem frühesten Morgen in der Nähe der Zugtoilette herum..
Trotzdem ist es ein erhebendes Gefühl, als ich ihn das erste Mal sehe: Den Baikal. Ein lang ersehnter Moment. Und er ist wirklich wunderschön, was ich zumindest aus dem Zugfenster heraus beurteilen kann. Seit Omsk wird es auch immer kälter und die Landschaft immer weißer. Wir fahren in den Winter hinein.
Meine Abteilgenossin bemuttert mich und stellt aufbauende Heißgetränke bereit, die Schaffnerin bemitleidet mich, und sagt, ihr ginge es auch oft so. So bin ich halbwegs wieder auf den Beinen, als wir am Nachmittag in Ulan Ude einlaufen.

Birken und Soldaten

Birken, Birken, Birken ziehen vorbei. Und das Gefühl höchsten Glücks stellt sich bei mir ein, wie immer, wenn ich in einem russischen Zug bin. Lesen, schreiben, die Landschaft vorbeiziehen lassen, tausende Kilometer, tagelang, essen, Tee trinken, schlafen, dösen, Tagträumen, an den Stationen die Händler und Reisenden beobachten. Meine Abteilgenossin ist sehr freundlich, aber schweigsam, das ist in Ordnung, so habe ich auch Ruhe. Auf den Gängen sieht das anders aus. In den kalten, laut klappernden Übergängen zum nächsten Waggon darf geraucht werden und man kommt schnell ins Gespräch. Auch hier wieder die Frage nach der Tschistaja Nemka. Nurik, 22 Jahre jung, Soldat, reist mit seinen Kollegen zum Einsatz an die chinesische Grenze, südlich von Wladiwostok, also wirklich ganz am Ende Russlands. Jeder von ihnen hat einen Hund dabei, in Moskau haben sie gelernt, diese noch besser zu befehligen. Beim nächsten Halt gehe ich mit ihnen und den Hunden raus. Allesamt Schäferhunde, die abgemagert und traurig aussehen. Nurik erklärt: Sein „Nox“ ist auf Menschen abgerichtet, die Hündin seines Kollegen auf Drogen. Die ist aber in Moskau mit der Tatze in einer Rolltreppe steckengeblieben und hoppelt auf drei Beinen. Stolz führt er vor, wie Nox auf ihn hört. Nach zwanzig Minuten geht es weiter und wir gehen in den Speisewagen. Es ist überhaupt keine Frage, dass er das Bier und die Pistazien zahlt – Nelsja! Unmöglich, dass eine Frau bezahlt! Dafür soll jetzt alles so laufen, wie er es möchte: So darf ich die Nussschalen nicht in meiner Hand behalten, sondern soll sie sofort auf den von ihm angeordneten Haufen auf dem Tisch legen. Ganz ruhig bleiben.
Was sie mit den Menschen machen, die sie beim Grenzübertritt aufspüren? „Festnehmen und Zurückschicken“ ist die lapidare Antwort. Auf seinem Handy führt er mir kleine Filmchen vor, teils selbst aufgenommen, teils aus dem Internet herunter geladen. Schäferhunde beim Training, wie sie eine gut ausgepolsterte Person niederreißen. Kameraden, wie sie beisammen sitzen und singen: Armeeromantik. Dann ein Film aus Tschetschenien, junge Soldaten brettern mit sichtlichem Spaß auf ihren Panzern durch einen Fluss, alles unterlegt mit russischem Rock. Der nächste Film ist ein Musikvideo: Der junge Soldat wird von seinem Mädchen an den Zug gebracht, sie im kurzen Tarnröckchen. In der nächsten Sequenz wird er im Holzsarg wieder aus dem Zug getragen. Der Sänger trällert melodramatisch irgendwas mit Geroj - Held. Nurik gefällt das. Er ist der Älteste von drei Geschwistern, kommt aus Omsk und schickt regelmäßig Geld nach Hause. Von Putin hält er viel, weil er das Land mit festen Händen führt und wieder viel Geld in die Armee fließen lässt. Auch die Rentner hätten wieder mehr zum Leben und überhaupt sei jetzt alles besser.
Bin mal gespannt, wie oft ich das noch hören werde.

Transsib

Bin gut in Moskau gelandet und nehme den Expresszug in die Stadt zum Jaroslawski Bahnhof. Im Expresszug werde ich gleich von Borja angesprochen, einem älteren Mann, der diesen eigentümlichen, süßlichen Geruch ausdünstet, der in Russland allgegenwärtig ist: Wodka. Er hat vor langer Zeit bei der Armee in Ulan Ude gedient und schwärmt von Burjatien. Ich könne mich freuen, dorthin zu fahren.
Aus Deutschland sei ich? Wie fast immer löst das hier große Begeisterung aus. Ja, ja bin ich. Tschistaja nemka? Eine pure Deutsche? Bei der Frage, auch mit großer Begeisterung gestellt,
stellen sich mir alle Nackenhaare auf. Nje snaju schto eto. Keine Ahnung was das ist.
An der Endstation bringt er mich noch zur Metrostation und drückt mir einen Kuss auf die Stirn: Udatschi! Erfolg!
Abends ist dann es dann soweit: Zug Nr.2 von Moskau nach Wladiwostok steht an Gleis 3 bereit und die Prowoditza, die Schaffnerin, verantwortlich für die Reisenden jeweils eines Wagons, heißt mich willkommen und zeigt mir mein Abteil. Mit mir in dem Vier-Bett-Abteil ist noch eine ältere Frau, die nach Hause, nach Chabarowsk reist. Das liegt noch hinter Ulan Ude. Kurz nach der Abfahrt teilt die Schaffnerin Essenspakete aus. Das kenne ich gar nicht von meinen bisherigen Fahrten in russischen Zügen, das gibt´s hier morgens, mittags und abends und ist im Preis inbegriffen. Nach dem Essen falle ich in einen tiefen Schlaf – durch das Ruckeln des Zugs fühlt man sich wie ein Baby in einem riesigen Kinderwagen.

Mittwoch, 17. Oktober 2007

Also, jetzt geht es endlich los, nach langem, nervenaufreibenden Warten auf die Einladung, mit dreiwöchiger Verspätung. Am Sonntag, den 21. Oktober fliege ich morgens von Berlin nach Moskau, dann geht es abends weiter mit der Transsib. Am 25. Oktober werde ich morgens, nach viereinhalb Tagen, in Ulan Ude eintreffen, und hoffen, dass mir Valeri Trenogin, Direktor von "Radio Puls", meiner Gastredaktion, eine Unterkunft besorgt hat..ansonsten muss ich auf eigene Faust was finden, ich bin ja schon groß-
Sobald ich dann Zeit und Online-Zugang habe, melde ich mich von dieser Stelle.
Bis dann und Poka, Cati