Dienstag, 25. Dezember 2007

Pure Vernunft darf niemals siegen



Fotos: Eisige Baustelle auf dem Platz der Räte in Ulan Ude, Eisbildhauer bei der Arbeit

So, nun etwas Pathos zum Schluss. Ich finde, dieser Tocotronic-Titel passt sehr gut zu Russland, zu Sibirien, zu Burjatien. Außerdem waren Tocotronic immer für mich da, wenn ein bisschen Heimweh aufkam. Und ich habe fleißig CDs von ihnen gebrannt und unter das junge Volk gebracht, es geht ja nicht, dass die hier nur Rammstein und Scooter kennen..
Hier hat niemand auf mich gewartet und mir ist nichts in den Schoß gefallen, ich musste schon immer ganz energisch sagen, was ich will und das auch manchmal hartnäckig. So manchem Interviewpartner bleibe ich vielleicht als die schlecht Russisch sprechende deutsche Journalistin im Gedächtnis, die aber trotzdem über die schwierigsten Themen reden wollte. Aber sie hatten Spaß mit mir, denke ich. (so habe ich, um nur ein Beispiel zu nennen, aus dem „Großen Baikalpfad“ den „Großen Baikal-Leichnam“ gemacht – tropa/ trup)
Ich habe die Zeit genutzt, bin oft unterwegs gewesen und habe sehr viele, sehr interessante Menschen kennen gelernt. Eine Menge Arbeit liegt noch vor mir, denn aus der Fülle des Materials, das ich hier gesammelt habe, kann ich in den nächsten Monaten schöpfen, heißt schreiben und produzieren.
An die leicht lethargische Mentalität der Menschen musste ich mich erst gewöhnen und ich gestehe, ich habe einige (wenige) Male innerlich ein wenig geschimpft mit ihnen. Warum mich Waleri Trenogin von Radio – No - Puls überhaupt eingeladen hat und warum er mir nicht gesagt hat, dass im Sender seit fast zwei Jahren Funkstille herrscht, habe ich aus ihm leider nicht herausbekommen. Nu da.
Ich hoffe jedoch sehr, dass ich etwas von dem Gleichmut – nicht Gleichgültigkeit! – der Sibirjaken und Burjaten in mir bewahren und nach Berlin in meinen Alltag mitnehmen kann, wenn ich bald wieder zwischen Büro, Nebenjob und Kindergarten hin und her hetze und nie das Gefühl habe, zu genügen.
Mir kam irgendwann der Gedanke, dass meine Liebe zu diesem Land, vielmehr zu seinen Menschen vollkommen irrational ist. Dann ist mir aber schnell eingefallen, dass dies ja das ureigene Wesen der Liebe ist.
Wot.
Do wstretschi!
Cati

PS Vielen Dank für die positiven Reaktionen auf diesen Blog!

Last but not least: Danke dem Marion Gräfin Dönhoff-Programm und seinen Verantwortlichen für diese Erfahrungen!

Fotos: Am Baikal




Mittwoch, 19. Dezember 2007

Abschied vom Baikal

Von Irkutsk fahre ich an das westliche Baikalufer, zuerst in das kleine Dorf Bolschoje Goloustnije, das 700 Einwohner hat. Ich wohne bei Fai und Mischa, sie ist Lehrerin in der Dorfschule, er arbeitet bei der oertlichen Telefongesellschaft. Wie die meisten hier halten sie Kuehe, Schafe und Huehner im kleinen Stall hinter dem Holzhaus und im Sommer vermieten sie Zimmer an Touristen. Es ist moeglich, dass sich ihr beschauliches Leben bald aendern wird. Der Baikal ist eine von mehreren *Besonderen Wirtschaftszonen*, die der Kreml ersonnen hat und in Bolschoje Goloustnije ist nun ein riesiger touristischer Komplex geplant. Ich bin hier, um die Meinung der Dorfbewohner dazu einzuholen. Die meist aelteren Einwohner verstehen nicht ganz, was das soll, und faenden es sinnvoller, etwas zu planen, was besser zu den Menschen hier passt und die einzigartige Natur erhaelt. Dieser Meinung ist auch Ludmilla Sigaeva, die das einzige Cafe im Ort betreibt. Voller Stolz erzaehlt sie, dass sie in Klaus Bednarz' Film ueber den Baikal eine der Hauptdarstellerinnen war. (Ich wandle auf Klaus Bednarz' Spuren, hach!)
Lange sitze ich mit ihr im Cafe, denn sie hoert gar nicht auf, von ihm zu schwaermen, so ein wunderbarer Mensch sei er. Ich solle ihn ganz herzlich von ihr gruessen. Das mache ich dann bei Gelegenheit..
Mischa sagt, ich solle auch nach Listwanka fahren, da koenne ich gut sehen, was aus einem ehemaligen Fischerdorf werden kann. Am naechsten Tag geht es dorthin weiter. Es ist nicht so, dass Listwanka schon vollkommen verschandelt waere - bis auf den graesslichen Hotelneubau direkt am Hafen, den Buergermeisterin und Spekulantin Tatjana Wassiljewna hat bauen lassen. Das Dorf ist als solches noch erkennbar, aber an allen Ecken und Enden wird gebaut und einige mehrstoeckige Bauruinen stehen am Ende der Uferstrasse herum. Im Sommer soll hier ein Riesenrummel sein, denn Listwanka ist nicht weit von Irkutsk und damit auch nicht weit von der Transsibstrecke entfernt. Aber im Dezember ist es sehr beschaulich und ich kann bei Baba Ljuba im Holzhaeuschen schlafen. Am Hafen esse ich Omul, einen forellenartigen Fisch, der nur im Baikal vorkommt.
Sonntagmorgen nehme ich Abschied vom Baikal, denn ich habe nur noch eine gute Woche und die werde ich in Ulan Ude verbringen, um noch einige Interviews zu fuehren. Eine Station habe ich nicht geschafft: Das Tunka-Tal. Ich habe mehr Zeit in Irkutsk verbracht als eingeplant, weil einige Interviewpartner nicht sofort alles haben stehen und liegen lassen, um mit einer deutschen Journalistin zu sprechen...verstaendlich!
Das Tunka-Tal kommt dann eben beim naechsten Sibirien-Besuch dran!

Dienstag, 11. Dezember 2007

Die Zeit rennt- und ich mit ihr!



Fotos: Eisprinzessin, Maxim einsam mit Fahne *Anderes Russland*, gefrorener See bei Irkutsk
Manchmal habe ich das Gefühl, dass einige meiner Projekte hier etwas überambitioniert sind. Zum Beispiel, wenn mich wichtige Herren im Internationalen Zentrum für Urananreicherung in Angarsk zwei Stunden lang mit PR-Material der Atomindustrie bearbeiten. Aber wer weiß, vielleicht hätte ich auch gar nicht soviel mehr verstanden, wenn sie deutsch geredet hätten…Swetlana, Journalistin bei der kleinen Zeitung „Vremja“ in Angarsk und scharfe Kritikerin des Kombinats, hatte mit geraten, das Zentrum zu besuchen, um auch die „andere Seite“ zu hören.
Mir quillt gerade der Kopf über, so viele Menschen habe ich in der vergangenen Woche in Irkutsk getroffen, zu vielen unterschiedlichen Themen, so dass ich die Begegnungen nur stichpunktartig auflisten kann und hoffentlich nicht allzu verwirrend.
Zuerst habe ich mich mit Mitgliedern der „Baikal-Welle“ getroffen, einer sehr bekannten NGO in Irkutsk. Sie ist in verschiedene Richtungen und auch gegen die Angarsker Uranindustrie engagiert. Die Ekologisti der Welle, so nennen sich hier die Umweltengagierten, sind wiederum unterschiedlich politisch aktiv.
Igor ist in der Autonomen Aktion in Irkutsk. Er war dabei, als im Juli ein Zeltlager gegen das Angarsker Kombinat von Rechten überfallen wurde. Einen Aktivisten, Ilja, schlugen die Nazisti dabei tot. Über Igor und seine Freunde möchte ich berichten.
Maxim ist neben seinem ökologischen Engagement Nationalbolschewist. Er sieht Lenin zum Verwechseln ähnlich. Die Nationalbolschewisti sind eine krude Mischung aus extrem links und extrem rechts, aus Subkultur und autoritärem Denken. Alles in einen Topf geschmissen, mit ordentlich sowjetischer Tradition gewürzt, und herumgerührt. Galionsfigur ist Schriftsteller Eduard Limonov in Moskau, die Partei wurde 2005 verboten. Die NB sind nun eine strategische Partnerschaft mit dem Oppositionellen Garri Kasparov und seinen Anhängern eingegangen, um als „Anderes Russland“ eine stärkere Opposition zu bilden.
Maxim lädt mich zu sich nach Hause ein und gemeinsam mit seiner Frau Tanja und einigen Genossen hören wir russische Punkmusik, kiffen und reden über Putin und die Mächte hinter ihm. So weit, so gut. Maxim führt einige Filme über die skandalträchtigen Aktionen der Irkutsker Gruppe vor, darunter eine Demonstration gegen chinesische Einwanderer. Ich sage, dass ich so was nur von Nazis kenne. Maxim erklärt, dass die Aktion nicht gegen die Immigranten selbst gewesen sei, sondern gegen die Regierung, die zu lasch gegen die illegale Einwanderung vorgehe. Aha. Ich spreche die „Eurasische Idee“ an, die von den Nationalbolschewisti propagiert wird. Das ist letzten Endes – ganz grob - die Utopie von einem Eurasischen Riesenreich.
Ich sage, ich bekomme Angst, wenn ich das höre. Ein junger Mann namens Alexej fragt in aggressivem Ton: „Wovor hast Du denn Angst? Vor der Größe, vor der Stärke?“ Ich antworte „Ja“, und dass ich von diesen Ideologien nichts halte, 20. Jahrhundert und so. Da winkt er ab, ich habe mich anscheinend als Gesprächspartnerin disqualifiziert.

Die Welt ist klein: In meinem Hostel campiert auch die Moskauer SkaPunk-Gruppe „Distemper“, die auf Sibirien-Tournee ist. Distemper spielen oft in Berlin und wir haben gemeinsame Bekannte in Friedrichshain. Nach dem Konzert, auf dem ich mich mal wieder unter lauter 20-jährigen befand, stoßen wir auf ein Wiedersehen in Berlin an.
Überhaupt ist das Hostel ein Quell immer neuer Kontakte. So mache ich Bekanntschaft mit drei Erleuchteten: Chansun aus Korea, Kay und Priscilla aus den USA, die seit Jahren von Ort zu Ort in Russland und Kasachstan ziehen, um die Bibel zu predigen und die Menschen noch zeitig vor dem jüngsten Tag auf den rechten Weg zu bringen. Sonst droht immerwährende Finsternis. Es ist wirklich eine Herausforderung, etwas aus ihnen heraus zu bekommen, denn sie sprechen nur in Bildern. Ich mache ein Interview mit Chansun über seine Arbeit und seine göttliche Inspiration, die Damen zieren sich leider.
Religiös geht es auch weiter, ich treffe mich mit Tomas aus Deutschland, der hier eine evangelisch-lutherische Gemeinde aufbaut und auf dem Land einen Bauernhof gegründet hat, der alkohol- und drogenabhängige Jugendliche aufnimmt. Dorthin fahren wir gemeinsam.

Ich denke, das reicht erstmal, oder? Mir auch. :)
Poka
Cati

PS Es sind jetzt mittlerweile minus 20 Grad hier und es ist eigentlich ganz angenehm!

Sonntag, 2. Dezember 2007

Nur kurz

Ich hatte einen schoenen Geburtstag in Ulan Ude. Am Freitag mit Aljonna zu Hause reingefeiert, tagsueber habe ich das Frauen-Datsan in Ulan Ude besucht, um Aufnahmen zu machen und dann war ich mit Klem und Alexej im Cafe. Die beiden sind "Melomanie", so nennen sich hier die Musikenthusiasten. Ich war schwer beeindruckt, dass Mittzwanziger in Ulan Ude Joy Division kennen. Aber eine Subkultur ist in der Stadt so gut wie nicht vorhanden, die beiden sind wirklich Ausnahmen. Dann habe ich mich noch mit Lena getroffen, die ich auf der Fahrt ins Bargusin-Tal kennen gelernt habe, wir haben auf dem Platz der Raete, neben dem Lenin-Kopf eine Flasche Schampanskoje gekoepft.
Und ich bin besaenftigt, was meinen erwaehnten Bericht betrifft,
ist heute ganz weit oben bei zeit.de!
Bei Interesse:
http://zuender.zeit.de/2007/49/russland-putin-wahlkampf
Poka

Samstag, 1. Dezember 2007

Sakamensk




In dieser Woche war ich mit Tujana und Oxana, zwei Journalistinnen der Zeitung Inform Polis, auf Kommandirovka (ich liebe dieses Wort). Ich komme als Fotografin mit, so schnell geht das. Sascha, an dessen Fahrstil ich ja schon gewöhnt bin, fährt uns. Unser Ziel ist Sakamensk, eine kleine Stadt ganz im Süden der Republik, ganz nah an der mongolischen Grenze. Auf der siebenstündigen Fahrt durch die weite, hügelige Landschaft, die sich langsam Richtung Steppe verflacht, halten wir an einer Posnaja an, wo es die Nationalspeise der Burjaten gibt, Posi. Das sind in Teig gehüllte Frikadellen, so eine Art Riesen-Pelmeni, die aber in Dampf gegart werden. Wie immer in Russland bin ich zur Fleischfresserin mutiert, es wäre sonst einfach asozial. Wie oft bin ich schon voller Stolz zum Posi-Essen eingeladen worden. (Hatte ich schon die extrem große burjatische Gastfreundschaft erwähnt?) Und sie sind wirklich sehr lecker.
Sakamensk, 13 000 Einwohner, ist arm. Zu Sowjetzeiten lieferte das Kombinat aus den umliegenden Stollen das Mineral Wolfram, aus denen u.a. sowjetische Panzer gefertigt wurden. Mitte der Neunziger wurde es geschlossen, weil es sich nicht mehr rentierte. Die Menschen in Sakamensk blieben ohne Perspektiven. Sie gingen weiterhin auf eigene Faust in die Schächte, um das Wolfram zu bergen, um es an bestimmten Sammelstellen zu verkaufen. An einem guten Tag lässt sich dort die Hälfte eines Monatseinkommens für unqualifizierte Arbeit, der die Schachteure sonst nachgehen müssten, verdienen. (4000 Rubel. Höhe der Sozialhilfe: 800 Rubel, 23 Euro. Das Kindergeld für ein Kind beträgt 120 Rubel, das sind noch nicht einmal vier Euro. Und das bei Lebensmittelpreisen, die sich mittlerweile nicht mehr wesentlich von denen in Deutschland unterscheiden.)
Aber das Wolfram aus den alten, nicht gewarteten Stollen zu holen, ist auch ungleich gefährlicher. Schon oft kam es in den letzten Jahren zu tödlichen Unfällen, erst im Oktober sind sieben Männer an giftigen Gasen, die in den Schächten aus den Felsspalten treten, gestorben. Burjatiens Präsident Nagowizin ließ die Schächte daraufhin endgültig versiegeln, ohne irgendwelche Alternativen anzubieten.
Wir sind hier, um mit den ehemaligen Schachteuren zu sprechen. Einer von ihnen ist Dima, 34 Jahre alt. Er sieht 15 Jahre älter aus. Um auf seine Situation und die seiner Freunde aufmerksam zu machen, hatte er bei der Zeitung angerufen.
Wir bleiben eine Nacht, Oxana recherchiert auch noch ein anderes Thema, hier ist die Zahl der jugendlichen Schulverweigerer die hoechste der Republik. Wir fahren zu dem verfallenen Kombinat, ich fotografiere, und wir müssen dann alle schnell ins Auto springen, denn wir werden von Männern, die hier Altmetall sammeln, mit Steinen beworfen (s. Foto).
Auf dem Rückweg machen wir Halt in einem burjatischen Dorf. Grund: Burjaten sind hervorragende Bogenschützen und aus diesem Dorf stammen einige international erfolgreiche Sportler. In tiefschwarzer Nacht, auf den Dörfern gibt es keine Straßenbeleuchtung, machen wir uns auf die Suche nach dem Trainingszentrum. Unser Besuch wird freudig als willkommene Abwechslung aufgenommen. Der örtliche Trainer lädt uns zu sich ein, und es ist für mich immer wieder erstaunlich, in welcher Geschwindigkeit sie hier einen Tisch, der sich mit köstlichen Gerichten biegt, herzaubern. Muss ich erwähnen, dass das selbstverstaendlich die Frauen machen? Währenddessen bewundern wir die Pokale des Trainers und er erzählt, dass das Bogenschießen den Burjaten im Blut liege, denn schließlich seien sie Nachkommen Dschingis Khans. Seinen Namen habe ich jetzt schon oft gehört, er ist hier großer Held. Die Burjatien fühlen sich sehr verbunden mit den Mongolen und ihrer Geschichte. Vom Wodka gewärmt, satt und zufrieden fahren wir durch die burjatische Nacht Richtung Ulan Ude.
Nach diesem langen Post hört Ihr vielleicht länger nichts von mir, ich gehe ab Sonntag auf große Tour, Irkutsk, Angarsk, westliches Baikal-Ufer, Tunka-Tal. Material sammeln für unterschiedliche Themen. Die mir hoffentlich in Deutschland abgenommen werden!
Meinen Bericht „Agitatoren, Mitläufer und Widerständige. Im sibirischen Ulan Ude vor den Duma-Wahlen“ habe ich wie blöd angeboten. Entweder negative oder keine Reaktionen. Aber zeit-online wird ihn in morgen veroeffentlichen. Jetzt erfahre ich selbst, worüber ich in meiner Diplomarbeit geschrieben habe. Aus der russischen Provinz kommen vielleicht exotische, bizarre Themen an. Die Redakteure konzentrieren sich, was politische Berichterstattung angeht, auf Moskau, ist ja auch klar. Trotzdem schade.
Do cvjasi!
Cati
PS Glueckwuensche zum Geburtstag nehme ich noch gern entgegen :)

Freitag, 23. November 2007

Bilder Bargusin-Tal







Wodka-Pause, Kurumkan und Folklore Gruppe