Montag, 5. November 2007

Scooter und Naschi

Ich bin am Wochenende doch in der Stadt geblieben, eine Fahrt an den Baikal ist für nächstes Wochenende angesetzt.
Dafür war bei Aljonna und Tanja wieder Party angesagt. Ich bin ja wirklich auch feierfreudig und dem Wodka gelegentlich keineswegs abgeneigt, aber eine Wohnung voller betrunkener Anfang 20jähriger, die enthusiastisch zu Scooter („eins, zwei, Grenadier“) und Modern Talking tanzen, geht über mein erträgliches Maß hinaus.
Ich werde als Attraktion aus Deutschland vorgeführt.
Viktor, einer der Partygäste, ein wohlgenährter 26jähriger, klärt mich über die besondere Beziehung der Sibirier zum Wodka auf. Diese sei nämlich noch mal eine viel stärkere als die der Russen zu dem Getränk allgemein: „In Sibirien trinken wir Wodka eigentlich zu jedem Anlass, in jedem Gemütszustand. Ob wir glücklich oder traurig sind oder irgendwas dazwischen. Er gehört immer mit dazu.“ Den Eindruck hatte ich selbst auch schon gewonnen.
In der nächsten Nacht ist erst alles ruhig, aber dann kommt um drei Uhr früh Besuch vorbei.
Ich werde mir wohl anderswo ein Zimmer suchen, Tanja und Aljonna sind wirklich nett, aber ich bin einfach keine Anfang 20 mehr und zum Arbeiten hier. Und Scooter verabscheue ich aus tiefstem Herzen.
Die Wahlkampfphase für die Dumawahlen am 2. Dezember läuft hier jetzt richtig an, das heißt der Wahlkampf von der Partei „Einiges Russland“, denn die anderen Parteien sind eigentlich gar nicht präsent. Überall auf den Straßen sind riesige Plakate der Partei zu sehen, auf denen es heißt: „Putins Plan: Der Sieg Russlands!“ oder „Wir glauben an Russland, wir glauben an uns!“
Sonst noch vereinzelt Plakate von der Schirinowski-Partei LDPR, auf denen steht: „Nicht lügen und sich nicht fürchten!“
Im Büro mache ich eine interessante Entdeckung: Im hinteren Raum, wo die Textilien bedruckt werden, stapeln die Mitarbeiterinnen hunderte Schals und Regenjacken mit dem roten „Naschi“-Symbol, dem Zeichen der Putin-Jugend (die „Unsrigen“). Bei meinen Vorrecherchen hatte ich aus der Naschi-Zentrale in Moskau noch die Nachricht bekommen, dass sie bisher in Ulan Ude nicht aktiv seien. Natascha sagt, dass eine gewisse Lena die Bestellung aufgegeben hat, sie sei speziell aus Krasnojarsk nach Ulan Ude beordert worden, um Naschi hier – zeitgerecht zu den Wahlen – aufzubauen. Sie wird mir den Kontakt herstellen.
Ich finde es schon bemerkenswert, dass ein ehemals regierungskritischer Radiosender jetzt – zur Werbeagentur umgemodelt - das Propaganda-Material der aggressiven Jugendbewegung des Kreml produziert. Aber es geht wohl einfach nur um die Bestellung eines Kunden.

2 Kommentare:

Eva hat gesagt…

Also ich finde, dies sind wirklich traumhafte Geschichten und sie sind sicherlich besser zu einem ganzen Reportageband geeignet als so manch anderes Zeug, das sich irgendwelche selbsternannten Russlandexperten so zusammendichten. Die Wandlungsgeschichte von Radio Puls ist aber wirklich der Hammer! Manchmal fragt man sich, inwieweit sich die Menschen ihrer Widersprüche überhaupt bewusst sind. (Obwohl man sich das bei sich selber ja auch hin und wieder fragt.) Die Geschichten aus der Schicksen-WG werde ich jedoch vermissen. Cati, bleib doch noch ein bisschen dort wohnen - trotz Scooter. Mit dem einen oder anderen extra-Gläschen Wodka und ein paar Ohrenstöpseln schaffst du das schon!!
Freue mich schon auf deine Rückkehr, sosedka!
Eva

Cati hat gesagt…

Danke, Du Liebe, ich kann Deine aufbauenden Worte gut gebrauchen, hab gerade Heimweh, schnief.