Dienstag, 11. Dezember 2007

Die Zeit rennt- und ich mit ihr!



Fotos: Eisprinzessin, Maxim einsam mit Fahne *Anderes Russland*, gefrorener See bei Irkutsk
Manchmal habe ich das Gefühl, dass einige meiner Projekte hier etwas überambitioniert sind. Zum Beispiel, wenn mich wichtige Herren im Internationalen Zentrum für Urananreicherung in Angarsk zwei Stunden lang mit PR-Material der Atomindustrie bearbeiten. Aber wer weiß, vielleicht hätte ich auch gar nicht soviel mehr verstanden, wenn sie deutsch geredet hätten…Swetlana, Journalistin bei der kleinen Zeitung „Vremja“ in Angarsk und scharfe Kritikerin des Kombinats, hatte mit geraten, das Zentrum zu besuchen, um auch die „andere Seite“ zu hören.
Mir quillt gerade der Kopf über, so viele Menschen habe ich in der vergangenen Woche in Irkutsk getroffen, zu vielen unterschiedlichen Themen, so dass ich die Begegnungen nur stichpunktartig auflisten kann und hoffentlich nicht allzu verwirrend.
Zuerst habe ich mich mit Mitgliedern der „Baikal-Welle“ getroffen, einer sehr bekannten NGO in Irkutsk. Sie ist in verschiedene Richtungen und auch gegen die Angarsker Uranindustrie engagiert. Die Ekologisti der Welle, so nennen sich hier die Umweltengagierten, sind wiederum unterschiedlich politisch aktiv.
Igor ist in der Autonomen Aktion in Irkutsk. Er war dabei, als im Juli ein Zeltlager gegen das Angarsker Kombinat von Rechten überfallen wurde. Einen Aktivisten, Ilja, schlugen die Nazisti dabei tot. Über Igor und seine Freunde möchte ich berichten.
Maxim ist neben seinem ökologischen Engagement Nationalbolschewist. Er sieht Lenin zum Verwechseln ähnlich. Die Nationalbolschewisti sind eine krude Mischung aus extrem links und extrem rechts, aus Subkultur und autoritärem Denken. Alles in einen Topf geschmissen, mit ordentlich sowjetischer Tradition gewürzt, und herumgerührt. Galionsfigur ist Schriftsteller Eduard Limonov in Moskau, die Partei wurde 2005 verboten. Die NB sind nun eine strategische Partnerschaft mit dem Oppositionellen Garri Kasparov und seinen Anhängern eingegangen, um als „Anderes Russland“ eine stärkere Opposition zu bilden.
Maxim lädt mich zu sich nach Hause ein und gemeinsam mit seiner Frau Tanja und einigen Genossen hören wir russische Punkmusik, kiffen und reden über Putin und die Mächte hinter ihm. So weit, so gut. Maxim führt einige Filme über die skandalträchtigen Aktionen der Irkutsker Gruppe vor, darunter eine Demonstration gegen chinesische Einwanderer. Ich sage, dass ich so was nur von Nazis kenne. Maxim erklärt, dass die Aktion nicht gegen die Immigranten selbst gewesen sei, sondern gegen die Regierung, die zu lasch gegen die illegale Einwanderung vorgehe. Aha. Ich spreche die „Eurasische Idee“ an, die von den Nationalbolschewisti propagiert wird. Das ist letzten Endes – ganz grob - die Utopie von einem Eurasischen Riesenreich.
Ich sage, ich bekomme Angst, wenn ich das höre. Ein junger Mann namens Alexej fragt in aggressivem Ton: „Wovor hast Du denn Angst? Vor der Größe, vor der Stärke?“ Ich antworte „Ja“, und dass ich von diesen Ideologien nichts halte, 20. Jahrhundert und so. Da winkt er ab, ich habe mich anscheinend als Gesprächspartnerin disqualifiziert.

Die Welt ist klein: In meinem Hostel campiert auch die Moskauer SkaPunk-Gruppe „Distemper“, die auf Sibirien-Tournee ist. Distemper spielen oft in Berlin und wir haben gemeinsame Bekannte in Friedrichshain. Nach dem Konzert, auf dem ich mich mal wieder unter lauter 20-jährigen befand, stoßen wir auf ein Wiedersehen in Berlin an.
Überhaupt ist das Hostel ein Quell immer neuer Kontakte. So mache ich Bekanntschaft mit drei Erleuchteten: Chansun aus Korea, Kay und Priscilla aus den USA, die seit Jahren von Ort zu Ort in Russland und Kasachstan ziehen, um die Bibel zu predigen und die Menschen noch zeitig vor dem jüngsten Tag auf den rechten Weg zu bringen. Sonst droht immerwährende Finsternis. Es ist wirklich eine Herausforderung, etwas aus ihnen heraus zu bekommen, denn sie sprechen nur in Bildern. Ich mache ein Interview mit Chansun über seine Arbeit und seine göttliche Inspiration, die Damen zieren sich leider.
Religiös geht es auch weiter, ich treffe mich mit Tomas aus Deutschland, der hier eine evangelisch-lutherische Gemeinde aufbaut und auf dem Land einen Bauernhof gegründet hat, der alkohol- und drogenabhängige Jugendliche aufnimmt. Dorthin fahren wir gemeinsam.

Ich denke, das reicht erstmal, oder? Mir auch. :)
Poka
Cati

PS Es sind jetzt mittlerweile minus 20 Grad hier und es ist eigentlich ganz angenehm!

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