Donnerstag, 1. November 2007

Birken und Soldaten

Birken, Birken, Birken ziehen vorbei. Und das Gefühl höchsten Glücks stellt sich bei mir ein, wie immer, wenn ich in einem russischen Zug bin. Lesen, schreiben, die Landschaft vorbeiziehen lassen, tausende Kilometer, tagelang, essen, Tee trinken, schlafen, dösen, Tagträumen, an den Stationen die Händler und Reisenden beobachten. Meine Abteilgenossin ist sehr freundlich, aber schweigsam, das ist in Ordnung, so habe ich auch Ruhe. Auf den Gängen sieht das anders aus. In den kalten, laut klappernden Übergängen zum nächsten Waggon darf geraucht werden und man kommt schnell ins Gespräch. Auch hier wieder die Frage nach der Tschistaja Nemka. Nurik, 22 Jahre jung, Soldat, reist mit seinen Kollegen zum Einsatz an die chinesische Grenze, südlich von Wladiwostok, also wirklich ganz am Ende Russlands. Jeder von ihnen hat einen Hund dabei, in Moskau haben sie gelernt, diese noch besser zu befehligen. Beim nächsten Halt gehe ich mit ihnen und den Hunden raus. Allesamt Schäferhunde, die abgemagert und traurig aussehen. Nurik erklärt: Sein „Nox“ ist auf Menschen abgerichtet, die Hündin seines Kollegen auf Drogen. Die ist aber in Moskau mit der Tatze in einer Rolltreppe steckengeblieben und hoppelt auf drei Beinen. Stolz führt er vor, wie Nox auf ihn hört. Nach zwanzig Minuten geht es weiter und wir gehen in den Speisewagen. Es ist überhaupt keine Frage, dass er das Bier und die Pistazien zahlt – Nelsja! Unmöglich, dass eine Frau bezahlt! Dafür soll jetzt alles so laufen, wie er es möchte: So darf ich die Nussschalen nicht in meiner Hand behalten, sondern soll sie sofort auf den von ihm angeordneten Haufen auf dem Tisch legen. Ganz ruhig bleiben.
Was sie mit den Menschen machen, die sie beim Grenzübertritt aufspüren? „Festnehmen und Zurückschicken“ ist die lapidare Antwort. Auf seinem Handy führt er mir kleine Filmchen vor, teils selbst aufgenommen, teils aus dem Internet herunter geladen. Schäferhunde beim Training, wie sie eine gut ausgepolsterte Person niederreißen. Kameraden, wie sie beisammen sitzen und singen: Armeeromantik. Dann ein Film aus Tschetschenien, junge Soldaten brettern mit sichtlichem Spaß auf ihren Panzern durch einen Fluss, alles unterlegt mit russischem Rock. Der nächste Film ist ein Musikvideo: Der junge Soldat wird von seinem Mädchen an den Zug gebracht, sie im kurzen Tarnröckchen. In der nächsten Sequenz wird er im Holzsarg wieder aus dem Zug getragen. Der Sänger trällert melodramatisch irgendwas mit Geroj - Held. Nurik gefällt das. Er ist der Älteste von drei Geschwistern, kommt aus Omsk und schickt regelmäßig Geld nach Hause. Von Putin hält er viel, weil er das Land mit festen Händen führt und wieder viel Geld in die Armee fließen lässt. Auch die Rentner hätten wieder mehr zum Leben und überhaupt sei jetzt alles besser.
Bin mal gespannt, wie oft ich das noch hören werde.

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