Samstag, 1. Dezember 2007

Sakamensk




In dieser Woche war ich mit Tujana und Oxana, zwei Journalistinnen der Zeitung Inform Polis, auf Kommandirovka (ich liebe dieses Wort). Ich komme als Fotografin mit, so schnell geht das. Sascha, an dessen Fahrstil ich ja schon gewöhnt bin, fährt uns. Unser Ziel ist Sakamensk, eine kleine Stadt ganz im Süden der Republik, ganz nah an der mongolischen Grenze. Auf der siebenstündigen Fahrt durch die weite, hügelige Landschaft, die sich langsam Richtung Steppe verflacht, halten wir an einer Posnaja an, wo es die Nationalspeise der Burjaten gibt, Posi. Das sind in Teig gehüllte Frikadellen, so eine Art Riesen-Pelmeni, die aber in Dampf gegart werden. Wie immer in Russland bin ich zur Fleischfresserin mutiert, es wäre sonst einfach asozial. Wie oft bin ich schon voller Stolz zum Posi-Essen eingeladen worden. (Hatte ich schon die extrem große burjatische Gastfreundschaft erwähnt?) Und sie sind wirklich sehr lecker.
Sakamensk, 13 000 Einwohner, ist arm. Zu Sowjetzeiten lieferte das Kombinat aus den umliegenden Stollen das Mineral Wolfram, aus denen u.a. sowjetische Panzer gefertigt wurden. Mitte der Neunziger wurde es geschlossen, weil es sich nicht mehr rentierte. Die Menschen in Sakamensk blieben ohne Perspektiven. Sie gingen weiterhin auf eigene Faust in die Schächte, um das Wolfram zu bergen, um es an bestimmten Sammelstellen zu verkaufen. An einem guten Tag lässt sich dort die Hälfte eines Monatseinkommens für unqualifizierte Arbeit, der die Schachteure sonst nachgehen müssten, verdienen. (4000 Rubel. Höhe der Sozialhilfe: 800 Rubel, 23 Euro. Das Kindergeld für ein Kind beträgt 120 Rubel, das sind noch nicht einmal vier Euro. Und das bei Lebensmittelpreisen, die sich mittlerweile nicht mehr wesentlich von denen in Deutschland unterscheiden.)
Aber das Wolfram aus den alten, nicht gewarteten Stollen zu holen, ist auch ungleich gefährlicher. Schon oft kam es in den letzten Jahren zu tödlichen Unfällen, erst im Oktober sind sieben Männer an giftigen Gasen, die in den Schächten aus den Felsspalten treten, gestorben. Burjatiens Präsident Nagowizin ließ die Schächte daraufhin endgültig versiegeln, ohne irgendwelche Alternativen anzubieten.
Wir sind hier, um mit den ehemaligen Schachteuren zu sprechen. Einer von ihnen ist Dima, 34 Jahre alt. Er sieht 15 Jahre älter aus. Um auf seine Situation und die seiner Freunde aufmerksam zu machen, hatte er bei der Zeitung angerufen.
Wir bleiben eine Nacht, Oxana recherchiert auch noch ein anderes Thema, hier ist die Zahl der jugendlichen Schulverweigerer die hoechste der Republik. Wir fahren zu dem verfallenen Kombinat, ich fotografiere, und wir müssen dann alle schnell ins Auto springen, denn wir werden von Männern, die hier Altmetall sammeln, mit Steinen beworfen (s. Foto).
Auf dem Rückweg machen wir Halt in einem burjatischen Dorf. Grund: Burjaten sind hervorragende Bogenschützen und aus diesem Dorf stammen einige international erfolgreiche Sportler. In tiefschwarzer Nacht, auf den Dörfern gibt es keine Straßenbeleuchtung, machen wir uns auf die Suche nach dem Trainingszentrum. Unser Besuch wird freudig als willkommene Abwechslung aufgenommen. Der örtliche Trainer lädt uns zu sich ein, und es ist für mich immer wieder erstaunlich, in welcher Geschwindigkeit sie hier einen Tisch, der sich mit köstlichen Gerichten biegt, herzaubern. Muss ich erwähnen, dass das selbstverstaendlich die Frauen machen? Währenddessen bewundern wir die Pokale des Trainers und er erzählt, dass das Bogenschießen den Burjaten im Blut liege, denn schließlich seien sie Nachkommen Dschingis Khans. Seinen Namen habe ich jetzt schon oft gehört, er ist hier großer Held. Die Burjatien fühlen sich sehr verbunden mit den Mongolen und ihrer Geschichte. Vom Wodka gewärmt, satt und zufrieden fahren wir durch die burjatische Nacht Richtung Ulan Ude.
Nach diesem langen Post hört Ihr vielleicht länger nichts von mir, ich gehe ab Sonntag auf große Tour, Irkutsk, Angarsk, westliches Baikal-Ufer, Tunka-Tal. Material sammeln für unterschiedliche Themen. Die mir hoffentlich in Deutschland abgenommen werden!
Meinen Bericht „Agitatoren, Mitläufer und Widerständige. Im sibirischen Ulan Ude vor den Duma-Wahlen“ habe ich wie blöd angeboten. Entweder negative oder keine Reaktionen. Aber zeit-online wird ihn in morgen veroeffentlichen. Jetzt erfahre ich selbst, worüber ich in meiner Diplomarbeit geschrieben habe. Aus der russischen Provinz kommen vielleicht exotische, bizarre Themen an. Die Redakteure konzentrieren sich, was politische Berichterstattung angeht, auf Moskau, ist ja auch klar. Trotzdem schade.
Do cvjasi!
Cati
PS Glueckwuensche zum Geburtstag nehme ich noch gern entgegen :)

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Na dann: Nachträglich herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Cati Carnivora!
Auf Fortsetzung wartend,
Rosemarie in Vaals

Sonapate hat gesagt…

Bin wirklich stolz auf Dich. Habe (fast)alles gelesen, obwohl ich morgen Teaching Practice habe und noch nicht vorbereitet bin. Du verstehst es wirklich einem das Land nahezubringen.